Donnerstag, 22. Oktober 1987

Der Crash von 1987 (Teil 4)



1987: »Die Börse arbeitet nur noch für sich selbst. Es steht kein echter Boom bei Investitionen dahinter.«
Charles P. Kindleberger, Massachusetts Institute of Technology

The New York SCHOCK Exchange

 
Frankfurt. Montagmorgen, 19. Oktober 1987. In Deutsch­land war alles ruhig. Noch schlief die Wall Street. Doch wer von den Börsianern am Mor­gen seine Frank­fur­ter Allge­meine Zeitung stu­diert hatte, spürte, dass dies ein Tag der Entscheidung sein würde. »Com­pu­tergesteuerte Verkaufsprogramme haben am Freitag und in den Vortagen den Kurs­ver­lauf gefährlich beein­flußt und können auch wei­ter markttreibend wir­­ken«, schrieb voll böser Ahnungen das Blatt in der Börsenkolumne Brief von der Wall Street. Weiter hieß es da: »Au­tomatismus kann hier zum Teu­fels­werk werden. Panik ist schwer mit Vernunft beizu­kom­men.«[1] Plötzlich schimmerte Angst durch vor dem bislang so perfekt insze­nierten Zusammenspiel zwischen Profis und Computer...
New York. Montagmorgen, 19. Oktober 1987. Während in Deutschland längst Nachmittag war, lasen die Amerikaner be­gierig am Früh­stücks­tisch die neuesten Nachrichten. Um 108,36 Punkte war am Freitag zuvor der Dow Jones gefallen. Damit sei der »Kapitulations­punkt erreicht«, überbrachte das Wall Street Journal eine Botschaft von Dennis Jarrett, Analyst bei der Investmentbank Bear, Stearns & Co.. »Die Hitze wird so stark, dass die Leu­te nicht mehr am Feuer verweilen können.« Seine Befürchtung: an die­­sem Montag würde die Börse mit Verkaufsorders überschwemmt. Eins war klar: ab einem Vo­lumen von 600 bis 700 Millionen Aktien, würde eine »wahre Panik« herrschen, warnte Ned Davis, Chef von Ned Davis Research Inc. in Venice (Florida).[2]
Wenige Stunden später nahm das Drama seinen Lauf. Die New Yorker Börse erlebte den freien Fall des Dow Jones, der in wenigen Stun­den von seiner Position mit 2246 Punkten um 508 Punk­te absackte und schließlich beim Stand von 1738 Punkten er­schöpft ein­rastete.[3] Wäre die Börse noch länger offen ge­wesen, dann hätte Sturz noch tiefer sein können. Dieser Fall um 22,6 Pro­zent war aber auch so schon schlimm genug. Er übertraf sogar den Schwarzen Freitag im Oktober 1929, als der Dow Jones 11,7 Prozent einbüßte. 604 Mil­lio­nen Aktien wur­den ver­kauft. Das war dreimal mehr als der Tages­durch­schnitt ‑ aber es gab wohl keinen, der sich über diese Leistung freute. Niemand lobte deswe­gen die immense Effizienz der Computer, die sich an diesem Tag eine gran­diose Schlacht lieferten.
Denn das Volumen, das an diesem Tag abgewickelt werden mußte, war 37mal höher als am 29. Oktober 1929.[4] Damals waren gerade­mal 16,4 Mil­lionen Ak­tien auf den Markt geworfen worden. Und das war schon eine Rekordleistung gewesen.  Damals, am Schwarzen Freitag, hatte das Volumen im Vergleich zum 3. September 1929, als der Dow Jones seinen Höchststand mar­kierte, um den Faktor 4 über­trof­fen.[5] Im Ver­gleich zu der Wucht des Black Monday war Black Fri­day jedoch allenfalls ein grauer Tag. Am 19. Oktober 1987 legte sich tiefe Finsternis innerhalb von Sekunden über die ganze Welt.
»Mit Compu­ter‑Geschwindigkeit rauschte die Kunde vom US‑Börsen­de­sa­ster [...] um den Erdball und zog alle Börsen mit«, schrieb die Ta­ges­zei­tung Die Welt.[6]
Dabei ver­loren die Anleger in der Woche nach dem Crash rund eine Billion Dollar ‑ die bis dahin wohl größte Geldver­nich­­tung in der Ge­schichte der Börsen. Die Effektivität der Börsianer war dahin: statt Werte zu schaffen, hatten sie nun Vermögen zerstört.
Was besonders erschütterte, war die Perfektion des weltwei­ten Zu­sam­men­spiel der Fi­nanzplätze. So etwas hatte es in der Historie noch nie gegeben. Die Hälfte der Verluste ging zu Lasten der insti­tutionel­len Investoren, die andere Hälfte mußten Privatanleger verdauen, ob­wohl sie zumeist gar keine Chance hatten, in das pro­fessionelle Treiben einzu­grei­fen. Es hatte beide gleichermaßen erwischt. Und niemand auf der Welt konnte dem Crash entkommen. Der Blitz hatte einge­schla­gen und mar­kierte seine Zick­zacklinie durch alle In­dices ‑ seien es nun die, die Aktienkurse zusammenfassen, oder jene, die Bonds be­werten oder Währungen.[7] Zum ersten Mal wurde der Weltöffentlichkeit deut­lich, wie stark die Informationstechnologien die Ereignisse global vernetzt hatten. Und manche fragten sich, ob es wieder 25 Jahre dauern würde (wie beim Oktober‑Crash 1929), bis sich der Dow Jones von einem sol­chen Sturz erholen und den alten Höchststand nehmen würde.[8] Denn dies­mal hing die ganze Welt am Netz.

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[1] Frank­furter All­ge­meine Zeitung, 19.10.87: »Die teuer­ste Mil­liarde der Welt«

[2] Wall Street Journal, 19.10.87, John R. Dorf­man: »Record New York trading volume is considered good sign by some«
[3] Die Zeit, 30.10.87, Bernhard Blohm: »Der pro­grammierte Crash«
[4] Wirt­schafts­woche, 23.10.87: »Massaker an Wall Street«
[5] Wall Street Journal, 19.10.87, John R. Dorfman: »Re­cord New York trading volume is considered good sign by so­me«
[6] Die Welt, 2.1.1988, Inge Adam: »Im Bör­sen­jahr 1988 beherrscht der Dollar die Kulisse«
[7] Financial Ti­mes, 30.3.88: Stefan Wagstyl: »Shaking the kalei­dos­ko­pe«
[8] The Eco­no­mist, 26.3.88: »Spring is sprung, shares is rit, I wonder when the next crash is?«

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